Wochenbett und Stillzeit: Tipps von der Hebamme Karen Dirks
Über Wochenbett und Stillzeit
Interview mit der anthroposophisch arbeitenden Hebamme Karen Dirks
Zu Beginn des neuen Jahres hatte ich die Gelegenheit, die anthroposophisch arbeitende Hebamme Karen Dirks zu interviewen. Wir sprechen über die Herausforderungen des Wochenbetts, die zwei wichtigsten Dinge für ein Neugeborenes und was es heißt, in diesem Corona-Winter das Licht der Welt zu erblicken. Weitere Informationen über Karen Dirks findet ihr am Ende des Artikels.
DIE ERSTEN WOCHEN MIT KIND STELLEN FÜR ELTERN EINE BESONDERE MAGIE UND HERAUSFORDERUNG DAR. GIBT ES ERSTLINGSAUSSTATTUNG ODER DINGE, DIE DU ELTERN FÜR DIESE WOCHEN EMPFIEHLST?
Es sind zwei Dinge, die in der ersten Zeit für das Neugeborene am allerwichtigsten sind: Wärme und Hülle.
Alle Eltern sollten eine gedankliche Reise machen und sich vorstellen, sie wären in einem anderen Menschen ganz eng drin. Es sind immer 37 Grad, du hörst immer einen Herzschlag und du bist immer in Bewegung und geborgen. Du hörst Stimmen und weißt, du bist immer dabei.
Und dann wirst du in eine Welt geboren mit zur Zeit 0 Grad. Das ist eine Differenz von 37 Grad! Das ist schon krass: 37 Grad weniger von jetzt auf gleich. Und dann liegst du vielleicht da in einem dünnen Baumwollbody. Da würde ich auch anfangen zu schreien. Ich sage zu den Eltern: stellt euch den heißesten Sommertag in Berlin vor, 37 Grad und uns läuft der Schweiß. DAS ist die Normaltemperatur für ein Baby.
Wenn Babys auf die Welt kommen, haben sie kaum die Fähigkeit Wärme zu bilden. Wir wollen auch nicht, dass sie so viele Kalorien dafür verbrauchen müssen, Wärme aufzubauen. Stattdessen wünschen wir uns doch, dass sie schnell zunehmen. Wärme ist wirklich ein riesengroßer Faktor. Je ernster Eltern das nehmen, desto mehr habe ich das Gefühl, dass ihre Kinder weniger unter Bauchschmerzen leiden, weniger Einschlafstörungen haben und sich insgesamt wohler fühlen.
Noch ein Tip zum Thema Wärme: ich gebe Eltern immer die Empfehlung für eine zweite Wärmelampe oder alternativ einen Heizlüfter. Auch wenn Eltern zu Beginn lachen und das für übertrieben halten, merken sie, wieviel entspannter ihr Baby ist wenn es so viel Wärme bekommt.
Diese Wärmequalität ist nicht nur in der anthroposophischen Lehre zentral. Auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin und im Ayurveda gilt Kälte als ein Hauptgrund für fast alle Erkrankungen. In der östlichen Medizin wird das als “einziehende Kälte” beschrieben. Deshalb kann ich nicht genug betonen, wie wichtig ausreichend Wärme ist.
Aber an der Stelle kommt die Angst ins Spiel. Viele Eltern haben Angst davor, ihr Kind zu überhitzen. Das ist berechtigt, weil es anscheinend eine tatsächliche Gefahr darstellt für den plötzlichen Kindstod.
Aber dann bitte ich doch zu unterscheiden, ob ich mein Kind in Wolle und Seide wickle oder in Polyester. Denn in Polyester kann es tatsächlich überhitzen. Mit Wolle/Seide hingegen könnte man in der Wüste laufen und es kühlt. Natürlich kann jedes Paar tun und lassen, was es möchte. Aber spätestens wenn ein Kind immer schreit, sollte man über die Wahl der Kleidung nachdenken.
Interessant ist auch: wenn die Eltern einen Wolle/Seide-Body für ihr Baby haben, sagen sie meist: wir brauchen davon mehr, die sind einfach doch besser. Oft kommt dann bei ihnen der Zweifel auf, ob sie sich das leisten können. Aber ich habe so clevere Frauen, die wenig Geld zur Verfügung haben und die Second Hand über verschiedene Plattformen ganz günstig an Babykleidung kommen. Da gibt es auf jeden Fall Optionen.
Was außerdem ganz wichtig ist, ist der häufige Hautkontakt. Ich sage immer, wir spielen in den ersten drei Monaten nach der Geburt soziale Gebärmutter. Das heißt, wir imitieren die Gebärmutter mit Wärme, Bewegung, Klang, Nahrung, also mit allem, was das Kind vorher hatte und jetzt immer noch braucht. Bonding und das Kind tragen ist ganz wichtig, denn wir Menschen sind Traglinge.
Wenn man das einmal verstanden hat, versteht man auch leichter, warum ein Kind weint. Denn es fehlt meist an einem der Grundbedürfnisse: Es fehlt Wärme, es fehlt Nahrung, es fehlt Bewegung, es fehlt Zuneigung oder es fehlt Körperkontakt.
IST ES ÜBERHAUPT MÖGLICH, EIN KIND ZU ARG ZU VERWÖHNEN?
Das ist eine Sache, die ich in den ersten Wochen oft höre: Man solle das Kind doch nicht so verwöhnen. Das ist immer noch oft ein Konflikt der Eltern mit der älteren Generation. Es gibt z.B. die Angst, dass ein Kind nicht lernt, alleine zu schlafen, wenn es immer mit im Elternbett liegt.
Hierzu gibt es zwei Dinge zu sagen: erstens gibt es für jedes Paar eine Lösung und zweitens lernt ein Kind dann Urvertrauen, wenn es in den ersten sechs bis acht Wochen überschüttet wird mit Liebe, mit Zuneigung und Nähe. Wenn es in dieser Zeit die Erfahrung macht: “Meine Eltern sind immer für mich da!”, lernen es die meisten Kinder nach einigen Wochen gut, alleine zu schlafen.
Aber ein Kind, das schon von vornherein auf Distanz gehalten wird, wird wahrscheinlich lebenslang an den Folgen tragen. Hierzu gibt es zahlreiche Untersuchungen. Ich sehe es als meine Aufgabe als Hebamme, Ängste zu nehmen und Gegenargumente zu liefern, wenn Eltern durch Aussagen vom Umfeld verunsichert werden.
IST DIE ZEIT RUND UM DIE GEBURT FÜR DICH SCHON ZUR ROUTINE GEWORDEN ODER IST ES IMMER WIEDER NEU UND ANDERS? UND SIND DIE FRAGEN DER ELTERN IN DER ZEIT DES WOCHENBETTS IM VERLAUF DER JAHRE DIE GLEICHEN GEBLIEBEN?
Ich bin nicht nur freiberuflich in der Geburtsvorbereitung und der Betreuung im Wochenbett tätig, sondern auch noch Hebamme im Kreißsaal. Ich kenne also den Geburtsmoment. Jede Frau, jede Familie bringt ihre eigene Geschichte mit und so ist die Geburt immer wieder neu und anders. Auch das Wochenbett unterscheidet sich immer wieder, je nachdem was ein Mensch mitbringt an Bedürfnissen, Ängsten und Geschichten, die ihn geprägt haben.
Manche Dinge sind und bleiben jedoch immer gleich: alle Eltern wünschen sich, dass es ihrem Kind gut geht. Im Moment nehme ich allerdings wahr, dass es viel mehr Fragen gibt, weil der Austausch unter den Eltern durch die aktuelle Situation mit Corona nicht gegeben ist. Rückbildungskurse können nicht stattfinden.
Wenn man sich nicht vorher schon kannte, ist es schwer, online eine Community entstehen zu lassen. Das finde ich besorgniserregend. Es ist nicht gut, wenn man nur alleine zu Hause sitzt. Andersherum tut es gut zu hören, dass andere Paare die gleichen Sorgen und Fragen haben.
ICH HABE DAS GEFÜHL, DASS DIE SICHERHEIT UND DAS KONTROLLBEDÜRFNIS IMMER MEHR IM MITTELPUNKT STEHEN. NATÜRLICHE GEBURTEN SIND STATISTISCH GESEHEN AUF DEM RÜCKZUG, GEPLANTE KAISERSCHNITTE NEHMEN ZU. IST DAS AUCH DEINE WAHRNEHMUNG?
Es gibt zwei entgegengesetzte Tendenzen. Denen, die sich möglichst viel Absicherung wünschen, steht eine große Szene gegenüber, die ganz auf die natürliche Geburt setzt. Das geht so weit, dass die Alleingeburt momentan ein großes Thema ist. Das bedeutet, eine Geburt ganz ohne ärztlichen Beistand und ohne Hebamme.
Die Frau möchte es alleine machen, weil sie überzeugt ist, das zu können. Es ist auch ein Protest gegen den Umstand, dass es kaum noch Hebammen für Hausgeburten gibt.
Das sehe ich sehr kritisch. Ich glaube, eine Frau braucht eine Hebamme. Nicht, weil sie alleine kein Kind gebären könnte. Sondern weil während der Geburt immer wieder Dinge passieren können, die unvorhersehbar sind. Und dann ist es gut, eine Fachperson zu haben, die weiß, was zu tun ist.
Aber so sehe ich diese zwei Lager: es gibt die einen, die alles genau planen und ganz sicher gehen wollen und dann gibt es die anderen, die es ganz ohne alle und alles machen wollen. Da muss natürlich jeder seinen Weg finden.
“Eine Frau wird entbunden” vs. “eine Frau gebärt”
Im Deutschen gibt es für den Geburtsvorgang zwei Begriffe: “eine Frau wird entbunden” und “eine Frau gebärt”. Das heißt nicht, dass ich einer Frau nicht zutraue zu gebären. Ich würde auch nie sagen, eine Frau wird entbunden, ich würde sagen: eine Frau gebärt. Es ist interessant, dass wir im Deutschen diese zwei Begriffe haben. Das eine ist aktiv, das andere ist passiv. Ich kenne kein anderes Land, das diese beiden Sätze im Wortschatz hat: in allen anderen Ländern ist es aktiv. Im Englischen heißt es “to be in labour” oder “to give birth”. Die Übersetzung des Spanischen lautet “jemandem das Licht der Welt schenken”. Das finde ich sehr schön.
Ganz schwierig ist es, auch als Hebamme, Paaren zu begegnen, die voller Ängste sind. Ich glaube schon, dass ich es oft schaffe, Vertrauen zu vermitteln, aber es ist harte Arbeit. Diese Familien nehmen sich da selbst ganz viel. Denn überall wo Angst ist, da entsteht Enge. Das ist keine gute Voraussetzung für die Geburt und das Wochenbett.
VIELLEICHT KOMMT DAS AUCH DURCH DIE INFORMATIONSFLUT? ES GIBT SO VIEL LITERATUR UND INFORMATIONEN DARÜBER, WIE ES FRAUEN UND PAARE VERMEINTLICH RICHTIG MACHEN.
Ja, die Paare wollen es nicht nur richtig machen. Sie wollen es perfekt machen. Das erzeugt ganz viel Stress.
DADURCH LEIDET MEINE INTUITION ALS MUTTER. DENN EIGENTLICH SPÜRE ICH GANZ GENAU, WIE ES RICHTIG IST, ODER?
Bei mir gibt es eine Regel: Symptome und Fragen dürfen nicht gegoogelt werden. Mein Spruch hierzu ist: “Dr. Google weiß keinen Rat”. Wenn es dringend ist, sollen Paare bitte ihre Hebamme oder ihren Arzt anrufen. Denn ein Symptom kann so viele unterschiedliche Ursachen haben.
Ich glaube auch, dass diese ganzen Ängste und der Drang, es perfekt machen zu wollen, einen großen inneren Stress kreieren. Das kann man generell in der Gesellschaft beobachten, nicht nur bei der Geburt und im Wochenbett. Das ist krass und das unterdrückt ganz stark die eigene Intuition. Ich sehe es als wichtige Aufgabe des Fachpersonals, Eltern wieder zu ermuntern, zu ihrer eigenen Antwort zu finden.
WENN DU ELTERN ZUM SCHLUSS NUR DREI TIPPS MIT AUF DEN WEG GEBEN KÖNNTEST, WELCHE WÄREN DAS?
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Lest weniger, vertraut mehr auf eure eigene Intuition!
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Haltet das Frühwochenbett ganz streng ein! Kuschelt euch ins Bett oder aufs Sofa, lernt euch in Ruhe kennen. So kommen die Kinder gut an, das Stillen etabliert sich in Ruhe und alles andere wird ein Selbstläufer
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Ins Kind hineinversetzen: Was bedeutet es für ein kleines Kind, in diese Welt, in diesen Corona-Winter nach Berlin zu kommen? Das ist für uns alle schon enorm anstrengend. Wie ist das dann für so ein kleines Wesen, das aus einer anderen Welt kommt? Betrachtet eure Familie - Eltern und Kind - als Team, nicht als Gegner!
ICH DANKE DIR GANZ HERZLICH FÜR DAS GESPRÄCH, LIEBE KAREN!
Karen DirksNach dem Abitur stand Karen vor der Entscheidung, BWL zu studieren oder Hebamme zu werden. Nach mehreren Praktika entschied sie sich für die Geburtshelferin und ergatterte 2009 einen der wenigen begehrten Ausbildungsplätze. Durch Zufall entdeckte sie die Zusatzausbildung zur anthroposophischen Hebamme, die sie berufsbegleitend absolvierte. Als ehemalige Waldorfschülerin und Tochter einer Heilpraktikerin begleiteten sie seit ihrer Kindheit anthroposophische und alternative Heilmethoden. Durch die Ausbildung konnte sie ihr mitgegebenes Wissen fachlich fundieren und hilft dadurch nun werdenden Müttern und Frauen nach der Geburt mit ergänzenden Heilmitteln. Sie ist im Vorstand des Vereins für Anthroposophische Hebammenkunde (VfaH e.V.) und leitet dort die Organisation der aktuellen Ausbildung. |
Weitere Informationen zu Karen findet ihr unter https://www.karendirks.de
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